Konfirmation 2018

Am vergangenen Sonntag haben unsere dreißig Konfirmanden den Gottesdienst vorbereitet und gestaltet; am 29. April und am 6. Mai werden sie in den Festgottesdiensten um 10 Uhr konfirmiert. Allen Konfirmandinnen und Konfirmanden wünschen wir  alles Gute und Gottes reichen Segen auf ihrem Weg durchs Leben- und immer wieder Begegnungen in unseren Gottesdiensten und Gemeindeaktivitäten.

Unsere nächsten Gottesdienste

Freitag, 13.4.2018

Erich- Burger- Heim 15.30 Uhr Gottesdienst

 

 

Sonntag, 15.4.2018

Johanneskirche 10 Uhr Gottesdienst Park and Pray mit Minikirche

 

Sonntag, 22.4.2018

Johanneskirche 10 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl (vorbereitet und gestaltet von den Konfirmanden), Minikirche und Bibelbande

 

Donnerstag, 26.4.2018

Krankenhauskapelle 19 Uhr Taizé- Abendgebet

 

Freitag, 27.4.2018

Erich- Burger- Heim 15.30 Uhr Gottesdienst

 

Sonntag, 29.4.2018

Johanneskirche 10 Uhr Festgottesdienst zur Konfirmation mit Minikirche und Bibelbande

Spricht Jesus zu ihr: Maria, Predigt an Ostern, Johannes 20,1-18

Es war finster so früh am Morgen – eine tiefe Finsternis. Denn es war nicht nur draußen dunkel, in dieser Stunde vor dem Morgengrauen. Sondern es war auch in mir drin, ein Morgen voller Grauen und dunkel in mir. Es war, als sei die Dunkelheit in mich hineingekrochen, als hätte sie mich von innen und außen verschluckt. Aber es war nicht mehr so schlimm. Es hatte fast etwas Beschützendes, weil ich mich in der Dunkelheit verbergen konnte und weil ich da die Welt in ihrer Härte und in ihrer Grausamkeit nicht mehr so deutlich sah. Es war so leer in meinem Kopf, und in meinem Herzen. Ich war erschöpft und konnte doch nicht schlafen, obwohl ich elend müde war. Wie gerne wär’ ich einfach eingeschlafen, abgetaucht und wenigstens für ein paar Stunden raus aus dieser Endlosschleife der Erinnerungen und der Fragen und der Bilder, die ich immer wieder vor mir sah von seinem Sterben und dem Tod, dieses sinnlose Sterben, dieser grauenvolle Tod. Wir standen ja dabei, betroffen und bestürzt, ohnmächtig. Wir standen dabei und taten nichts und konnten ja nichts tun. Und nun werde ich dieses dunkle Bild nicht mehr los. – Schlafen, endlich einschlafen und lange nicht mehr aufwachen. Oder endlich aufwachen aus diesem bösen Traum. Oder irgendwie begreifen, dass es wirklich aus war und vorbei.

 

Darum wollte ich auch noch mal hin. Es sehen, das Grab, vielleicht auch ihn noch einmal sehen und was von ihm geblieben war, um es zu fassen, zu begreifen, irgendwie. Gefährlich würde es nicht sein, es war zu früh. Es war um diese Zeit noch niemand unterwegs. Ich nahm mein Tuch und legte es um meine Schultern und zog es über meinen Kopf und tastete mich leise aus dem Haus. Im Schutz der Schatten lief ich durch die Gassen hinaus aus der Stadt. Das Laufen und die Kühle taten gut. Die tiefe Dunkelheit verschwamm allmählich in ein dunkles Grau. Da war der Galgenberg; die großen Balken ragten in den Himmel. Und dann war ich im Garten und bei dem Felsengrab. – Josefs Grab! Josef von Arimathäa, du wahrer Freund. Durch deinen Mut und deine Großzügigkeit hatte er wenigstens das bekommen, ein ordentliches Grab, ein edles Grab. – Doch was!? Was war das? Wo war Stein? Warum lag er nicht mehr davor? Es war doch niemand hier. Es konnte auch gar niemand hier gewesen sein, am Sabbat. Und niemand außer uns wusste Bescheid und kannte überhaupt das Grab. Was also war das? Was war passiert? Und warum ließen sie ihn nicht einmal in seinem Grab in Ruh? Wusste Petrus davon? Hatte er / hatten sie ihn etwa weggeholt?

 

Ich kehrte um und lief sofort, in aller Eile wieder in die Stadt. Es dämmerte als ich zu ihrem Versteck kam. Und sie ließen mich auch gleich herein. – Da stand er vor mir: Simon Petrus, ein gebrochener Mann, ein elender Feigling! Dabei hatte Jesus es genau vorher gesagt. Er hatte es gewusst. Er hatte alles vorher gewusst, was kommen würde  – und hatte nichts getan. Er hatte nichts getan, um zu entkommen oder sich zu wehren und seine Macht zu zeigen. Nein, er war – unbegreiflich – sehenden Auges in sein Verderben gelaufen. Allein! Denn niemand, nicht einer von uns, hat sich für ihn eingesetzt.

 

Petrus, sie haben das Grab geöffnet. Was ist da los? Weißt Du etwas? Was ist passiert? Wo ist er hin? – Petrus!? Petrus, hast Du mich gehört? Aber er mich einfach stehen und rannte los, dem andern hinterher, zum Grab. Was konnte der auf einmal laufen. Hätte er doch vor zwei Tagen solche Kraft gezeigt und solchen Einsatz für seinen Freund, als der noch lebte. Jetzt war es zu spät! – Als ich zum Grab kam, kam Petrus gerade dort wieder heraus. Ratlos, müde und stumm. Er ging an mir vorbei, beide. Sie ließen mich einfach stehen.

 

Da konnte ich nicht mehr. Es brach in diesem Augenblick einfach aus mir heraus. Ich weinte, endlich, und weinte hemmungslos. Denn nun hatten wir nichts mehr, nicht einmal mehr sein Grab. Aber warum nur? Und wer tut so etwas? Das macht doch keinen Sinn? Wer tut so etwas? – Etwa die beiden dort? Was sind das für Leute, die da sitzen? Und wo kommen die her? Und wie kommen diese beiden dort in diese Grabeshöhle? Ob sie was wissen? Oder ob sie’s selber waren? – Was? Warum ich weine? Weil er tot ist. Weil meine Hoffnung tot ist. Und weil ich nicht mehr weiß, wohin. Weil der mir fortgenommen wurde, der mich als erster und als einziger bisher gesehen und verstanden hat und mich auf eine Art gewürdigt hat, geheilt, die mich so tief berührt hat und verändert. Doch wo soll ich nun hin? Und wie soll ich mit meiner Geschichte jemals wieder aufrecht gehen?

 

So weinte ich und ließ den Tränen, meiner Wut und der Enttäuschung freien Lauf. Und ahnte nicht, dass er da längst schon bei stand. Denn als ich mich umwandte, stand er da – und ich dachte wirklich zunächst, es sei der Gärtner. Natürlich dummes Zeug, was soll ein Gärtner dort am frühen Morgen. Aber der Fremde stellte dieselbe Frage wie die seltsamen Gestalten da im Grab: „Frau, was weinst Du?“ und „wen suchst Du?“. – Was war hier eigentlich los? Wo kamen diese Leute alle her? Zumal um diese Uhrzeit? Und warum ließ man mich jetzt nicht einfach mal in Ruh?

 

Aber dann sagte der Fremde etwas, nur ein Wort. Nicht irgendein Wort. Er nannte meinen Namen: „Maria“! Er sah mich an und nannte mich beim Namen: „Maria“! Und wie er das sagte, traf es mich ins Herz und mir ging auf, mir ging endlich auf, wer hier wahrhaftig vor mir stand. Der Gärtner – Blödsinn – er war es! Es war verrückt; es war absurd, es war unglaublich, ganz unmöglich. Aber er war es eben doch! Denn niemand kannte mich so. Und niemand sonst sprach so meinen Namen aus, dass da in diesem Wort, in diesem Klang, in meinem Namen alles drin war, was ich wirklich war. Niemand sonst hätte mich mit meinem Namen so tief treffen und berühren können, ja schier umarmen. „Maria“ – da war ich gemeint, die Maria, die ich so gut kannte mit meinem Leben, meiner Geschichte, meiner Vergangenheit. Doch auch schon die Maria, die noch vor mir lag, die ich noch werden konnte, werden sollte. Maria – da war ich gemeint, mit meinen Eigenheiten und mit meiner Reizbarkeit, mit meiner Schönheit und Empfindsamkeit, mit meiner Furcht vor anderen Menschen und dem tiefen Misstrauen gegen andere und gegen mich selbst, und mit meinem tiefen Misstrauen gegen Gott, mit meiner Einsamkeit, die in Gesellschaft manchmal fast am größten war. – Das alles lag in meinem Namen und in dem Klang und in der Stimme Jesu, so viel Vertrautheit und Nähe und so viel Wahrheit und Autorität. Und zugleich diese große Verheißung, was noch werden sollte und aus mir werden könnte. Mein Name, der in seinem Mund eine Verheißung war, im Mund des Ewigen, des Schöpfers, der den Tod bezwungen hatte. Ich auf seiner Seite und in sein Leben aufgenommen, in dieses unbändige Leben, dem der Tod nichts anhaben konnte. Ich aufgenommen in das Leben, das die Gräber öffnet und die ganze Welt neu macht, so neu, dass uns dafür noch die Worte fehlen.

 

Aber ich musste an die Bibel denken und an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja, wo Gott zu seinen Menschen sagt „so spricht der Herr, der dich geschaffen hat: fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich  habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein“ (Jes 43,1). Und so war es, nur ein Bibelspruch und ein Zitat, sondern von ihm selbst persönlich und aus seinem Mund. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, Maria, du bist mein!

 

Und dann, dann sandte er mich los, zu seinen Jüngern. Ich sollte ihnen diese Nachricht überbringen. Und das war ungewöhnlich damals, wo doch das Wort von Frauen gar nichts galt. Vor keinem Gericht der Welt hätte meine Aussage damals bestanden – egal, was ich gesagt hätte. Denn ich war eine Frau. Und Frauenworte galten nichts; wir hatten damals überhaupt kein Zeugenrecht! Aber das war typisch für ihn. Als hätte er am Durcheinanderschütteln solcher festen Regeln seine größte Freude. Er hat den Leuten damals manches zugemutet, den Männern und den Frauen auch.

 

So ging ich also los mit meiner Botschaft. Mit dieser ganz unglaublichen Nachricht, dass Jesus auferstanden war, dass er das Grab geöffnet hatte, dass er – wie angekündigt – dem Tod entkommen war und ihn bezwungen hatte, für sich selber und für uns! Denn – und so hatte Jesus noch nie zuvor geredet: sag das meinen Brüdern – meinen Brüdern, so hatte Jesus seine Jünger vorher nie genannt. Geh und sag das meinen Brüdern: ich gehe nun zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu eurem Vater! Das hatte er noch nie so gesagt. Und so hat Jesus über Nacht und aus dem Tod heraus am Ostermorgen seine Menschen adoptiert. Nicht mehr nur Freunde / Jünger / Nachfolger …, sondern seine Brüder und Schwestern! Er hatte uns in seine Familie aufgenommen, also in die Gemeinschaftsform und die Beziehung, die unauflöslich ist in unserer Welt.

 

Geh hin, und sag es meinen Brüdern, dass ich lebe! Und ich ging hin. Ist klar, sonst wärt ihr heute nämlich so nicht hier! Denn von da aus ging das raus in alle Welt. Ich war die erste, aber – und darum erzähl ich das heute: ich war nicht die letzte. Ich sag es immer noch und immer wieder euch den Brüdern und Schwestern. Hört es und glaubt es und lasst euch auch mit Namen rufen. Fürchtet euch nicht! Geht hin und behaltet es nicht für euch. Sagt es, laut oder leise, und widersprecht der Bosheit und der Dunkelheit und dem Tod in jeder Gestalt. Denn ihr seid nicht dem Schicksal ausgeliefert und der Logik von Schuld und Strafe. Ihr seid nicht mehr der Krankheit ausgeliefert und dem Tod – selbst wenn er euch am Ende kriegt; er darf euch nicht behalten. Ihr seid nicht mehr den Zwängen ausgeliefert, der Macht und Ohnmacht und der Lüge. Du gehörst nicht mehr dem Hass, dem Selbstmitleid, der Bitterkeit. Du gehörst ihm, dem auferstandenen Herrn. Das macht euch so gelassen, unabhängig, frei – aber auch gefährlich in dieser Welt. Denn ihr seid Widerstandskämpfer und -kämpferinnen! Wo stehst Du? Wofür setzt Du Dich ein? Und wem erzählst Du, dass der Tod die Macht verloren hat?

 

Hört sie euch zum Abschluss noch einmal an, meine Geschichte, so wie sie in der Bibel aufgeschrieben ist, im Johannesevangelium, Kapitel 20. Und wenn Du Hinhörst, hörst Du vielleicht Deinen Namen. Denn ich war nur die erste.

Es ist vollbracht- Predigt an Karfreitag, Johannes 19, 1-30

Eine Geschichte wie ein finsteres Gemälde! Schwere Schatten und dunkle Farben, triste Figuren und verzerrte Gesichter. Und doch – wenn Du genau hinsieht und die gesamte Bilderfolge des Johannesevangeliums nicht aus dem Blick verlierst, dann siehst du wie es da und dort auf dem Gemälde leuchtet. Ein goldener Hintergrund schimmert hervor mit Purpur, Königsblau und hellen bunten Farben – aber darüber eben jene dunkle Farbschicht in schwarz-grau und mit schemenhaften groben Gestalten. „Seht!“ ruft ausgerechnet dieser feige und verblendete Pilatus! Dabei kann keiner hier in der Geschichte sehen, was da in dieser Dunkelheit wirklich geschieht.

 

Da drüben an der Wand haben unsere Kinder aus der Bibelbande, aus unserem Kindergottesdienst, einige Bilder gestaltet: Szenen und Geschichten aus dem Leben Jesu im Johannesevangelium. Das vorletzte dort hinten wird heute vervollständigt, der graue Hügel Golgatha draußen vor der Stadt Jerusalem.

 

Seht! Wir folgen heute dieser Aufforderung. Und schauen genauer hin auf dieses dunkle Bild, das uns vor Ohren und Augen gemalt wurde und wir schauen aus – soweit wir ihn erfassen können – nach dem verborgenen goldenen Glanz.

 

II

Seht, welch ein Mensch! Mit diesem Hinweis hatte Pilatus versucht, den offenkundig falschen und zu kurzen Prozess gegen Jesus umzulenken und diesen unerwünschten Häftling lebend loszuwerden. Seht ihn euch an, euren jämmerlichen Judenkönig wie er da vor euch steht: verraten und verlassen und verleugnet von den engsten Freunden, verklagt (zu unrecht) und verurteilt (ohne Schuld), von den Soldaten zusammengeschlagen, verspottet und gequält und zuletzt aller Würde beraubt nackt auf ein Kreuz gespannt, zur Schau gestellt auf Golgatha, dem Galgenhügel bei Jerusalem. – Seht, welch ein Mensch, zerrissen im Spannungsfeld der weltlichen und religiösen Macht. – Schaut hin! Und es ist gut, wenn euch das nahegeht, dieser geschundene Mensch. Denn viele haben sich längst an die vielen Bilder der Gewalt gewöhnt. Was wir täglich so sehen und aushalten müssen: im Fernsehen, in der Zeitung und im Internet und immer wieder auch persönlich beobachtet oder selbst erlebt: Tod und Trauer und Gewalt, Elend und Schmerzen, Feigheit und Ungerechtigkeit. Wer mag das sehen? Wer schaut da hin? Die meisten wenden sich ab, weil solche dunklen Bilder uns beschweren: das Kreuz und all das Elend, für das dieser Gekreuzigte steht. Lieber nicht hinschauen. Und besser sich damit nicht sehen lassen. Das sagen sogar manche in der Kirche: Hängt endlich dieses Kreuz ab, dieses abstoßende Bild, diesen geschundenen Jesus. Den kann man doch keinem zumuten. Stellt lieber die heiteren Bilder von Jesus heraus: etwa die Krippe mit dem Kind, zumal für viele Menschen sowieso das Weihnachtsfest zum größten Feiertag der Christenheit geworden ist.

 

Aber wer so redet, wird dadurch die Dunkelheit nicht los. Es wäre eine trügerische Flucht vor der Wirklichkeit und vor der Welt, in der wir leben. Denn das Kreuz und die Geschichte von dem Unrecht und den Grausamkeiten, die Jesus ertragen hat; – sein Kreuz Jesu steht für den realistischen Blick auf unsere Welt. Seht, welch ein Mensch! Seht ihn euch an! Und seht euch um! Und seht euch selber an! Macht euch nichts vor. Stellt euch der Dunkelheit dieser Welt. In diesen Tagen kommt ein Film in die Kinos, der die Schönheit unserer Welt und unserer Erde zeigt, mit gewaltigen, eindrücklichen Bildern. Aber doch eben vor dem Hintergrund der großen Gefährdung und der – so erleben es viele – kaum aufzuhaltenden Zerstörung, deren Kraft und Wucht und Geschwindigkeit uns schier überfordert. Kann man sich dem Raubbau wirklich noch entgegenstellen – so viele Menschen, so viele Mächte, so viel Verschwendung, so viel Gier. So viel Geld und so viel Gier. Und all die Auseinandersetzungen, die Bürgerkriege, die Verflechtungen der Macht, die Stellvertreter-Konflikte, etwa in Syrien, in denen andere Menschen und Völker zwischen den Interessen der Global Player zerrieben werden. Die vergifteten Agenten und vergifteten Beziehungen. Die Kriege und bewaffneten Konflikte haben weltweit zugenommen und werden auch mit deutschen Waffen geführt. Und kein Wunder ist die Welt in Bewegung, sind viele Menschen in Bewegung, suchen nach Auswegen und nehmen Todesgefahr und Einsamkeit in Kauf, um zu fliehen und zu leben, irgendwo und irgendwie besser als bisher. Dabei haben wir in unserem Land immer noch selbst mit den Folgen des letzten Krieges zu tun: die Brüche in vielen Familien, die vielen Kinder, die ohne Vater aufgewachsen sind. Ich spüre manches der zerstörerischen Kräfte der Vergangenheit in der Geschichte meiner Eltern und meiner Familie. Und heute unser Kleinkrieg im Alltäglichen: in den Ehen, in der Nachbarschaft, in unserer Stadt; das Reden über- statt endlich miteinander und die Wunden, die uns andere schlagen und wir selber anderen auch. Manche Verletzungen und Narben brechen immer wieder auf. Die Aussichtslosigkeit in einer Krankheit. Der Tod eines geliebten Menschen. Die Einsamkeit, der ich so schwer entrinnen und die ich andern kaum erklären kann. Bis hin zur Einsamkeit des Todes, die jeder von uns früher oder später zu bestehen hat. – Seht, welch ein Mensch! Seht ihn euch an: den Menschen, den zerbrechlichen, zerstörerischen Menschen. Dafür steht Jesus Christus. Das stellt er dar. Das nimmt er an. Das zieht er auf sich. Das stellt er hier vor aller Augen aus. Und darum schauen wir uns das seit fast zweitausend Jahren an, weil hier alles vorkommt: die Großmächte (Rom) und die Gewalt (die Soldaten), die religiöse Verblendung und wie man andere opfert, um sich selbst zu schützen, und wie man sich mit Unrecht Recht verschaffen will. Die Feigheit, die Einsamkeit, die Zuschauer und Gaffer, das Geschwätz, der Schmerz, der Tod. Das steht für uns und unsere Welt – und mitten drin: Gottes Sohn, Gott selbst.

 

III

Denn diesem Hinweis des Pilatus, diesem Aufruf: „seht, welch ein Mensch!“ stellt dieser Mensch, stelle Jesus entgegen: „seht, welch ein Gott!“. Das sind die hellen Stellen, die übermalten goldenen Töne, die verborgenen Hinweise in dem Karfreitagsbild aus dem Johannesevangelium. Weil nämlich diese Geschichte kein Unfall war, kein dummes Schicksal, kein Versehen, nicht das bedauerliche Ende eines Weltverbesserers und eindrucksvollen Lehrers. Das ist nicht einfach leider so passiert, dass Jesus dummerweise den religiösen Führern seines Volkes in die Hände fiel, die ihm nicht wohlgesonnenen waren und ihn den Römern überstellten. So nach dem Motto: wäre er bloß nicht nach Jerusalem gegangen. – Doch genau das ist es nicht! Kein anderes Evangelium gewährt uns einen so tiefen Einblick in die Hintergründe der Ereignisse von Jesu Leiden und Sterben. Das Johannesevangelium stellt eindrücklich heraus, dass die Jesu Passion nichts mit Passivität zu tun hat, als wäre Jesus nur ein Getriebener und Geschlagener. Nein, Jesus wehrt sich nicht, weil es das so will! Er schweigt zu den haltlosen Anschuldigungen und versucht kaum, die Vorwürfe zu widerlegen und erklärt sich nicht, weil das zu seinem Plan und Weg gehört. Und auch den Hauptgrund der Anklage gegen ihn – neben dem haltlosen Gerede, Jesus habe zum Kampf gegen die römische Besatzungsmacht gerufen oder zur Zerstörung des Tempels aufgefordert. Neben diesen vorgeschobenen Anklagen wird auch der eigentliche Vorwurf gegen Jesus, nämlich der Vorwurf der Gotteslästerung – er habe sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. Auch hier ist Jesus nicht bemüht, dies näher darzulegen und sich zu verteidigen, um so das Todesurteil doch noch abzuwenden. Jesus wehrt sich nicht!

 

Im Gegenteil: Er geht bewusst, gezielt und aufrecht auf sein Ende zu. Er lässt das Leid nicht einfach über sich ergehen und fügt sich in das Unabwendbare. Nein Jesus geht erhobenen Hauptes und – so sieht es aus – planvoll diesen Weg. Er zeigt den religiösen Führern und dem römischen Statthalter von Jerusalem, aber auch dem Volk, dass er wahrhaftig ist, was man ihm vorwirft: ein König, mit seiner schmerzhaften Dornenkrone und dem Purpurmantel. Er ist wirklich der König der Juden wie es in drei Sprachen schriftlich proklamiert wird. Er ist der König der Juden und in Wahrheit der König der Könige. Er ist Gott, der Herr! Und darum handelt er hier eigenständig und behält das Heft in der Hand. Er nimmt sein Kreuz und trägt es eigenhändig auf den Richtplatz vor der Stadt. Und wird dort – so wie er es mehrfach angekündigt hat – erhöht. Er besteigt gleichsam den Thron, am Kreuz. Und kümmert sich dann noch vom Kreuz herab um seine Mutter, vertraut sie seinem Jünger an, dem Zeugen seines Lebens und Sterbens, an den sie sich in Zukunft halten soll. Und dann spricht Jesus – der der Frau am Jakobsbrunnen Wasser des Lebens verheißen hat – er ruft zuletzt, um die Weissagung des Alten Bundes zu erfüllen und zu zeigen: das war von langer Hand geplant – ruft Jesus: mich dürstet und nimmt den Essig, den man ihm daraufhin reicht. Und neigt sein Haupt und spricht zuletzt: es ist vollbracht, und stirbt.

 

 

IV

Seht, welch ein Gott! Der seinen Glanz und seine Herrlichkeit dem Dunkel dieser Welt aussetzt. Der seine Schönheit, seine Hoheit dunkel übermalen lässt von uns zerstörerischen Dilettanten. Seht, welch ein Gott, der sich der Bosheit seiner Menschen und dem unverschuldeten Elend ausliefert! Und der vollbringt, was niemand sonst vollbringen kann.

 

Warum er die Not seiner Menschen nicht einfach so beseitigt hat in seiner königlichen Macht und Autorität? Warum er das Elend dieser gefallenen Welt nicht einfach so aus der Welt schafft? – Weil er dann uns aus der Welt schaffen müsste. Weil wir alle nicht nur Opfer, sondern immer auch Täter sind, weil wir alle nicht nur Böses erleiden, sondern selbst auch Böses tun. Darum hat Gott die Not nicht einfach aus der Welt geschafft – es hätte unser Leben gekostet. Sondern er hat einen anderen Weg gewählt und hat nicht unser, sondern hat sein Leben in den Tod gegeben hat, um uns in sich zu bergen, wie ein Vater, der im brennenden Haus sein Kind an sich drückt, in seinem Mantel birgt und durch die Flammen trägt und dabei freilich selber Feuer fängt. So hat Gott uns in seinem Arm geborgen, im Leiden und im Sterben seines Sohnes und hat uns durchgetragen durch alle Not und Schuld und durch den Tod – damit wir leben!

 

Es ist vollbracht, was kein Mensch vollbringen kann. Es ist geschehen, und es ist nichts hinzuzufügen. Es ist genug, und es ist gut! Wenn wir das Bild vom Anfang nun noch auf uns beziehen: die dunklen tristen toten Farben auf der Leinwand unseres Lebens. Gott hat sich nicht mit einem goldenen Glanz einfach nur übermalt, mit hellen Tönen überpinselt. Nein, er hat in Jesus Christus getan, was kein Künstler und kein noch so Kreativer kann: er hat unter die dunklen Farben unseres Lebens, unter das elende Grau, seinen Glanz gemalt und sozusagen unter unser Leben geschoben. – Halte ihm das Bild Deines Lebens hin und schau es Dir mit ihm noch einmal an, wie er es aufhabt und neu den Glanz seiner Liebe darunter legt und Dich mit dieser Liebe trägt, ins Leben. Es ist vollbracht!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als wir begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen