Da nahte sich Jesus und ging mit ihnen

Predigt über Lk 24,13-35
Ostern 2021, Johanneskirche Bühl

I

Es reicht mir, Leute. Ich halt das nicht mehr aus: diese düstere Stimmung, dieses ständige Warten auf die nächste Schreckensmeldung, diese gereizten und erschöpften Gestalten, die hier rumhocken und sich gegenseitig anmeckern oder bedauern. Und dieses Jammern „… was jetzt wohl wird“. Das war schon gestern kaum zum Aushalten, als alle hier zuhause bleiben mussten wegen dem Feiertag. Wenn Jesus das wüsste, wie die hier drauf sind: seine lieben Herrn Apostel – handverlesen und jetzt so ein jämmerlicher Haufen. Und dann noch diese durchgeknallten Frauen, mit ihren Phantasien von dem leeren Grab.

Immerhin waren sie mutig, sich in aller Frühe heute aus dem Haus zu trauen und zum Grab zu gehen. Und offenbar war irgendwas passiert – mit IHM, angeblich war er nicht mehr da. Sie waren ganz hysterisch und aus dem Häuschen. Hier dagegen diese Schwermut und wie sich alle leidtun. – Ich pack das nicht mehr. Ich halt das nicht mehr aus. Ich haue ab, irgendwohin! – Was Kleopas, Du packst auch grad deine Sachen? Du gehst auch weg, nach Emmaus, in Dein Dorf? Da komm ich mit! Lass uns zu zweit gehen, ja? Raus aus dieser Stadt und raus aus dieser Jesus-Geschichte. Es hätte so gut werden können! Aber es ging gründlich schief. Warum nur hat der große Meister das am Ende mit sich machen lassen, hat Judas machen lassen und hat sich kaum gewehrt gegen die falschen Anschuldigungen? Warum hat er nicht wenigstens ein bisschen gekämpft? Stattdessen hat er dann am Kreuz für diese Leute noch gebetet. – Aber von uns kam ja auch nichts. Wir haben ja auch nichts gebracht. Das mit dem Glauben und der Liebe und der Hoffnung war so gut – und nun am Ende: nur Enttäuschung! Komm, lass uns gehen!

Lesung: aus dem Lukasevangelium, Kapitel 24: Lk 24,13-35

Gebet: Herr Jesus Christus. Zeig Dich auch uns. Lass uns dich hören. Amen.

II

Zunächst eine Beobachtung, liebe Gemeinde: keine andere Ostergeschichte im Neuen Testament wird so ausführlich erzählt. Sie ist doppelt so lang wie die Geschichte vom leeren Grab. Das hat was zu bedeuten. Weil hier Raum ist für uns und für unsere Fragen an den Glauben und seine Glaubwürdigkeit. Und damit wir aus der Zuschauerrolle herauskommen, wenn wir mitgehen ein Stück mit diesen beiden. Mit Kleopas – immerhin hat er einen Namen, auch wenn er im Neuen Testament ansonsten nicht mehr vorkommt – und mit dem anderen, der namenlos bleibt. Wie ein Platzhalter für uns, damit wir uns selbst dort eintragen können, in diese Schuhe steigen und den Weg mitgehen, nach Emmaus – und wieder zurück.

Lasst uns den Weg mitgehen: die Flucht aus der Stadt, die überraschende Begegnung unterwegs und dann den Weg zurück – in ein anders und neues Leben.

III

Zunächst die Flucht. Zwei verschreckte und enttäuschte Leute aus dem Kreis der Jünger Jesu laufen davon. Zwei Enttäuschte: sie hatten sich das mit Jesus anders vorgestellt! Zwei Erschöpfte: nach diesen großartigen Wochen und nach dem wunderbaren Einzug in Jerusalem war am Ende alles umsonst? Zwei Traurige: der, den sie liebten, war gescheitert, gestorben, umgebracht. – Mit diesen beiden geht der auferstandene Christus am entscheidenden Tag der Weltgeschichte spazieren. Der Bezwinger des Todes, der Herr der Herrlichkeit sucht die Gesellschaft von zwei Durchschnittsjüngern aus der dritten Reihe. Keine Großveranstaltung in Jerusalem, statt dessen eine Wanderung zu irgendeinem Kaff im Nirgendwo – die Historiker rätseln bis heute wo das eigentlich war. Der Auferstandene wandert mit diesen beiden Jüngern – und sie bekommen es nicht mit.

Am Anfang war das auch gewollt: „ihre Augen wurden gehalten“ heißt es hier. Jesus blieb zunächst im Verborgenen. Aber so im Lauf der Reise hätten sie schon mal was merken können. Doch es geht kein Licht auf. Sie kapieren nichts. Und Jesus hält das aus. Er sucht sich keine anderen Leute, die mehr draufhaben und in die zu investieren sich mehr lohnt. Es ist auch später offenbar nichts Besonderes aus diesen Beiden geworden. Außer dass ihr Geschichte erzählt wird, wie Jesus mit ihnen weggeht aus Jerusalem, obwohl dort immerhin demnächst die erste Gemeinde gegründet werden soll. Unglaublich, dass der auferstandene Christus sich so aufmerksam diesen müden Zweiflern und Flüchtlingen zuwendet. Er hört zu und redet, wartet, isst mit ihnen – bis es endlich, bis es ihnen endlich ihnen dämmert, wer da die ganze Zeit an ihrer Seite war.

Und wir? Wovor bist Du grad auf der Flucht? Wovor würdest Du am liebsten weglaufen? Was würdest Du gerne hinter Dir lassen: den inneren Druck und die Erschöpfung, die Verlassenheit, weil wir das alte Leben so nicht mehr zurückbekommen. Statt dessen Unsicherheit und Ungeduld, Enttäuschungen in meinem Leben, offene und schmerzhafte Fragen in meinem Glauben?

IV

Aber es könnte gut sein, dass Jesus auch mit Dir schon eine Weile unterwegs ist. Und du hast es bisher kaum gemerkt. Vielleicht hört er ja auch vor allem zu und stellt Fragen und gibt auch Antworten und packt irgendwann die Landkarte aus, die Heilige Schrift, die er dann auch uns Schritt für Schritt erklärt, was über ihn drinsteht und über uns und wohin die Reise geht. So eine Art Ostereiersuchen in der Bibel, dass er mit uns durch diese Worte und Geschichten geht und uns zeigt, wo wir suchen sollen und welche Schätze dort verborgen sind. Schaut hin – sagt Jesus – es steht alles da. Auch für die ungeübten und die müden Leute, mit denen Jesus offenbar besonders gern zusammen ist.

Und Proviant gab’s damals auch: das Brot des Lebens aus der Hand des Auferstandenen. Und endlich – endlich geht ihnen auf, wer ihnen hier das Brot reicht und mit ihnen unterwegs gewesen ist, wen sie die ganze Zeit schon bei sich hatten; und wir haben’s nicht gemerkt. Jesus war die ganze Zeit dabei, und wir haben ihn nicht erkannt. Bevor wir ihn gebeten haben, war er da. Bevor wir wollten – bleib bei uns, Herr – war er geblieben. Und es wird allen klar: das Abendmahl ist kein Gedächtnismahl für einen Toten, sondern ein Fest, bei dem Christus gegenwärtig ist, verborgen und doch spürbar unter Brot und Wein. Gut, dass auch wir hier in den letzten Tagen dieses Fest persönlich mit ihm und miteinander feiern konnten. Und wir werden wieder feiern! Und dann zurückschauen auf den Weg: Ja, er war da! Er ist die ganze Zeit schon da – da draußen, unterwegs. Er kommt, hört zu, hält Schritt und beginnt zu reden. Er kommt von sich zu uns – weil er es will. Mach dich darauf gefasst und freu dich drauf. Und wenn du ihn nicht bemerkst, heißt das eben nicht, dass er nicht da ist, an Deiner Seite und weite Wege mit dir geht, wenn’s sein muss auch mal in die falsche Richtung. Und dann wieder zurück.

V

Denn diese beiden bleiben nicht im Exil, in ihrem Unterschlupf und im privaten Rückzugsort. Sie brechen auf, noch in derselben Nacht, den ganzen Weg zurück, damit es möglichst bald die anderen erfahren: dass Jesus wirklich und wahrhaftig auferstanden ist. Das heißt sie gehen dahin, wo Geschichte geschrieben wird, wo Jesus Leute braucht, die sich senden lassen von ihm in seine Welt. Klar hätten sie sich auch in Emmaus über Jesus freuen können und über die Auferstehung so im Stillen und zu zweit. Aber so geht diese Geschichte nicht aus! Denn wer dem Auferstandenen begegnet ist – wenn auch ganz unvermutet, irgendwo unterwegs, wo man gar nicht mit ihm rechnet. Wer ihm begegnet über der Heiligen Schrift und im Abendmahl, der taucht nicht unter, sondern bricht als Zeuge Jesu Christi auf in diese Welt, die Gott so kostbar ist mit all den Menschen, die er liebt. Zurück in die Hauptstadt und in die Welt: wo es Gewalt gibt und Intrigen und Demonstrationen, wo Macht missbraucht wird und Religion missbraucht wird, wo die Erschöpften sind und die Hoffnungslosen, wo Menschen sterben und wo es gefährlich werden kann, auch gefährlich von Christus zu reden. Dahin kehren die Jünger zurück. – Und wir? Wir auch, nach unserem Osterspaziergang. In diese Welt, die so im Aufruhr ist und im Umbruch, in Gefahr durch diese Krankheit und das aufgeheizte Klima. Die Welt, in der Menschen sich verschlossen haben aus Furcht; in der Menschen bedroht sind und fliehen auf der Suche nach einem neuen Leben. Die Welt, in der Waffen verkauft werden und Kinder verhungern, wo es Krach in den Familien gibt und wo der Tod schmerzt und Lebenspläne ändert. In diese Welt kehren Kleopas und der unbekannte Jünger zurück – und wir auch. Mit der kraftvollsten und schönsten und unglaublichsten Botschaft der Welt: Der Tod, die Furcht, die Bosheit und die Zukunftsangst – gewinnen nicht! Und wenn es tausendmal danach aussieht – sie setzen sich zuletzt nicht durch! Weil Christus auferstanden ist. Die Gnade siegt, Barmherzigkeit, Versöhnung, Freiheit, Leben. Die bezwingende Liebe Gottes siegt – weil Christus auferstanden ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als wir begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.