Osterpredigt 2019 – Fürchtet euch nicht!

Fürchtet euch nicht!

Predigt über Mt 28,1-10

Ostern 2019, Johanneskirche Bühl

I

Die ganze Ostergeschichte, liebe Gemeinde, ist voller Überraschungen und voller Witz und sogar Komik. Vielleicht kann man das Unbegreifliche so am angemessensten zur Sprache bringen. Vor allem im Matthäusevangelium ist diese Hintergründigkeit zu entdecken, dieser göttliche Humor und wie die Größenverhältnisse und die Herrschaftsverhältnisse ganz gezielt verwackelt werden und auf den Kopf gestellt werden. Es fängt schon an im ersten Satz, mit den Zeugen dieses einzigartigen Ereignisses. Denn von zwei Frauen ist hier die Rede! Sie haben die tragende Rolle; sie sind die ersten, die von der Auferstehung Jesu erfahren und ihm dann sogar persönlich begegnen. Zwei Frauen! Und damit wurde – nach damaligen Regeln – gleich zu Beginn die ganze österliche PR-Geschichte an die Wand gefahren. Denn wer würde Frauen glauben? Deren Aussage galt nach damaligem Zeugen-Recht nichts! In einem Rechtsstreit hätte ihre Stimme kein Gewicht! Trotzdem setzt der Engel unbeirrt auf diese beiden Frauen: Maria Magdalena und die andere Maria, vielleicht die Mutter eines Jüngers – fast könnte man denken „Hauptsache sie heißen „Maria“, so wie am Anfang auch die Mutter Jesu. Dabei war es in Sachen PR und Strategie ein kapitaler Fehler: Frauen nahm keiner ernst; kein Mensch würde das glauben! Immerhin ging es um die wichtigste Nachricht der Welt! Doch genauso wollte es die göttliche Regie! Nach der Devise: Na und; dann werden sich die Leute halt ein bisschen wundern. Oder: Jetzt erst recht; einfach kann jeder! Vielleicht wollte Gott uns zeigen, dass die alten Regeln nicht mehr gelten und dass die Verhältnisse in unserer Welt von Grund auf andere geworden sind. – Darum also sollen heute mal die Frauen unter uns als erste und erst mal ganz allein aufstehen zur Ostergeschichte, aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 28:

Lesung:  Mt 28,1-10 (ab 28,5 auch die Männer: während die Wachen umfallen, stehen unsere Männer heute auf)

Gebet:    Wir sehen Dich nicht, Christus, persönlich und leibhaftig, so wie die Frauen damals. Aber lass uns Dich hören, jetzt, heute durch dein Evangelium. Amen

II

Was für eine verrückte Geschichte! Da gehen diese beiden Marias im Morgengrauen zu Jesu Grab. Aus lauter Treue und in großer Trauer. Und haben offenbar an die Soldaten gar nicht mehr gedacht. Oder sie haben’s nicht gewusst, dass man Wachtposten dort postiert hatte? Und jetzt? Was würden die Soldaten wohl mit diesen Frauen tun? – Gar nichts! Denn sie fielen um vor Schreck als plötzlich – wie bei der Kreuzigung – die Erde bebte und ein helles Licht vom Himmel kam, grell wie ein Blitz. Ein Engel erschien und rollte den großen Stein zur Seite, der das Grab verschloss. Da fielen die Wächter um, harte bewährte Männer, die viel Schlimmes gesehen und noch viel Schlimmeres getan hatten – die fielen in Ohnmacht! Das muss man sich mal vorstellen. Ich denk an zwei starke Männer, Marke Türsteher, vor dem eben noch verschlossenen Grab. Sie fallen um und die Frauen blieben stehen. Ziemlich schräg ist auch, wie dieser Engel es sich auf dem Stein gemütlich macht, wie er sich respektlos auf den Grabstein setzt: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Aber er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er ist nicht mehr im Grab. Das Grab ist leer. Kommt her und schaut es euch mit eigenen Augen an, wo er gelegen hat. Und dann geht los und lauft, beeilt euch, sagt es seinen Jüngern – Petrus, dem Verleugner und der ganzen feigen Bande. Sagt es ihnen, dass er lebt und dass er sie treffen will, in Galiläa, da, wo es anfing, wo er sie einst berufen hat.

Verrückte Geschichte! Das Grab ist leer? Und war schon eine Weile leer … Diese beiden Frauen waren bei der Beerdigung dabei. Sie hatten das volle Grab gesehen. Und jetzt ist der Leichnam weg, also schon vor der Öffnung, und Jesus ist – wie und wo auch immer – lebendig? Noch so ein Stück Situationskomik: Da bewachten diese schwer bewaffneten Soldaten mit großem Ernst und großer Wichtigkeit ein leeres Grab!

Die beiden Frauen waren sprachlos – entsetzt und froh zugleich, zutiefst erschrocken und zugleich so voller Freude: unglaublich, was sie sahen, was sie hörten und was sie jetzt tun sollten. Und so machten Maria und Maria kehrt und rannten los, zu Petrus und den anderen; „schnell, hat der Engel gesagt, wir müssen uns beeilen; die Jungs müssen sofort aufbrechen nach Galiläa …“. Und dann liefen sie dem Auferstandenen direkt in die Arme. „Seid gegrüßt“! Ein einfacher Willkommen, kein großer Auftritt, diesmal kein Blitz und kein Theaterdonner. Er war es, wirklich … Und da gingen die Frauen auch zu Boden und verneigten sich in tiefer Ehrfurcht vor Christus, dem Lebendigen, dem Herrn über Leben und Tod! „Fürchtet euch nicht, geht hin und verkündigt es meinen Brüdern; dass wir uns sehen werden, in Galiläa“.

III

Zwei starke Sätze aus dem Mund des Auferstandenen: „Fürchtet euch nicht!“ Und „sagt es meinen Brüdern, dass ich lebe!“ Zwei starke Sätze. Und beide haben eine Geschichte.

Der erste, der Zuspruch „Fürchtet euch nicht!“, zieht sich nämlich durch die gesamte Geschichte Jesu hindurch. Als er angekündigt wurde, grüßte so der Engel seine Mutter Maria (Maria!): „fürchte dich nicht“! Auch als Josef später in Gottes Pläne eingeweiht wurde: fürchte dich nicht! Und an Heiligabend bei den verschreckten Hirten auf den Feldern Bethlehems: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allen Menschen gilt, weil heute Christus geboren ist, der Erlöser. Und später immer wieder: Fürchtet euch nicht – im tosenden Sturm auf dem See, und auf dem Berg der Verklärung … Doch erst am Ende, hier vor dem leeren Grab, wird deutlich, warum wir uns nun nicht fürchten sollen und vor nichts mehr fürchten müssen.

Obwohl es wirklich reichlich Gründe gibt zum Fürchten: So viel Unrecht, Hass und Menschenverachtung etwa im Bürgerkrieg in Libyen, im Jemen oder im Dauerkriegsgebiet Afghanistan. Und heute in Sri Lanka, wo bei brutalen Terroranschlägen so viele Menschen ums Leben gekommen sind, unsere Brüder und Schwestern, in Kirchen und Ostergottesdiensten. Das ist zum Weinen, Wüten und zum Fürchten! Und all die Menschen auf der Flucht, vermutlich werde es nicht weniger. Die Erhitzung des Weltklimas, nicht nur was die Temperaturen angeht. Die skrupellosen Spieler in Washington und Pjönjang und anderswo. Und natürlich die persönlichen Erfahrungen, die Untiefen und Unsicherheiten, Verluste und Verletzungen – manche, die man nicht von außen sieht; Krankheiten, die ich aushalten muss, und die Furcht vor dem Sterben und manchmal Furcht vor dem Leben, manchmal die Furcht vor mir selbst! – Fürchtet euch nicht?! Dem Engel nehmen wir diesen Satz nicht ab; der hat von unserem Leben keine Ahnung! Aber Jesus sagt es auch. Und er weiß, wovon er spricht und was Furcht ist. Er hat sich selbst auch gefürchtet vor dem Leiden, vor dem Sterben und dem Tod und hat zuletzt geschrien zu Gott „Warum hast Du mich verlassen“!?

Darum: wenn ER es sagt, dann gilt es wirklich: Fürchtet euch nicht! Weil Jesus weiß, worum es geht – im Schmerz, im Tod, im Grab – gefangen in dieser Kammer aus Stein, versiegelt und von Soldaten überwacht. Jesus hat das Schlimmste erlebt und hat es – nehmen wir das Grab als Bild – er hat dieses letzte Gefängnis von innen aufgebrochen und geöffnet und hat uns mit befreit. Was uns klein macht und am Leben hindert, was uns beschwert und zermürbt, und wo wir andere beschweren. Fürchtet euch nicht – nicht mehr; nicht mehr so sehr. Denn ich bin auferstanden und stehe jetzt vor euch. Ich stelle mich schützend um euch, und keine Macht der Welt kommt mehr dazwischen, keine Weltmacht und niemand sonst, der euch so tief und tödlich verletzen kann, und keine Krankheit oder Not, nicht mal der Tod, der Gräber wie Gefängnisse bewacht. – NIEMAND reißt euch aus meiner Hand! Und darum fürchtet euch nicht!

V

Geht hin und sagt das meinen Brüdern. Das ist die zweite besondere Aussage Jesu. Sagt es meinen Brüdern! Denn der Engel hatte von den „Jüngern“ geredet. Jesus aber – ungewöhnlich und erstmals so in seinem Mund – Jesu spricht von seinen Brüdern (und Schwestern)! So nimmt er seine feinen Freunde, also den Petrus, der ihn nicht mehr kennen wollte und die anderen, die bei seiner Hinrichtung nicht mal in der Nähe waren; und ich kann mir auch vorstellen, dass er dort drüben im Tod auch Judas getroffen hat … Er nimmt die Verleugner und Verräter und Angsthasen wieder in seine Gemeinschaft auf. Jesus nimmt die Unzuverlässigen und die Wiederholungstäter und die selbstgerechten Schwätzer wieder auf. Aber eben nicht mehr nur in seinen Freundeskreis, sondern in seine Familie! Der auferstandene Jesus adoptiert am Ostermorgen seine Jünger und Jüngerinnen und schafft so eine starke und unauflösliche Verbindung.

Darum geht auch ihr hier in Bühl 2019 – geht auch ihr hin und sagt es weiter. Und fürchtet euch vor nichts und niemandem. Jesus ist auferstanden! Und steht jetzt zwischen Dir und dem, was Dich bedrängt, steht zwischen Dir und Deiner Furcht. Die Furcht löst sich jetzt noch nicht einfach auf. Aber die Freude ist am Ende größer als die Furcht. So heißt es jedenfalls hier von den Frauen: sie gingen hin mit Furcht (ohne Beiwort) und großer Freude. Es gilt: die Freude ist am Ende größer als die Furcht!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.