Da nahte sich Jesus und ging mit ihnen

Predigt über Lk 24,13-35

Ostern 2017, Johanneskirche Bühl

 

 

I

OH es reicht jetzt wirklich. Ich halt das nicht mehr aus, diese düsteren verhuschten Gestalten wie sie hier rumhocken und sich bedauern, wie sie auf jedes Geräusch lauern – wann fliegen wir endlich auf. Und dieses Flüstern und Rätseln, was jetzt wohl wird. Es war schon gestern kaum zum Aushalten, am Feiertag so ein Elend, zum Verrücktwerden. Wenn er das wüsste: seine Auserwählten, der engste Kreis, die erlauchte exklusive Apostelgesellschaft – jetzt so ein jämmerlicher Haufen. Mit denen hätte er nix reißen können. Und dann noch diese durchgeknallten Frauen, mit ihren Phantasien von dem leeren Grab. Immerhin hatten sie mal Mumm genug, sich aus dem Haus zu trauen und zum Grab zu gehen, heute in aller Herrgottsfrühe. Und irgendwas war da wohl auch heute Nacht. Können sie ihn denn nicht mal jetzt in Ruhe lassen? Wahrscheinlich stecken die Römer dahinter oder die fromme Tempel-Clique um die Hohepriester. Es wird hier immer verrückter. Und darum muss ich dringend raus! Kleopas – du packst auch gerade deine Sachen? Du willst auch weggehen? Nach Emmaus, in Dein Dorf? Da komm ich mit! Nimm mich bloß mit! Lass uns zu zweit gehen, ja? Raus aus dieser schrecklichen Stadt. Was sind das nur für Leute hier, die erst Hosianna rufen und ein paar Tage später ihren König niederschreien und ans Messer liefern, an die Feinde, an Pilatus, an die römischen Besatzer!? Ich muss hier weg! Auch weg aus dieser Jesus-Geschichte. Es hätte so gut werden können! Aber es war ein Trugschluss, eine Täuschung. Warum nur hat er diesem Hinterhalt nichts entgegen gesetzt und all den falschen Anschuldigungen? Warum hat er Judas einfach machen lassen. Warum ist nicht einfach abgetaucht. Und warum hat er sich so gar nicht gewehrt, wenigstens ein bisschen gekämpft? Aber von uns kam ja auch nichts. Also, Kleopas, lass uns ganz schnell gehen. – Lesung aus dem Lukasevangelium, Kapitel 24:

 

Lesung:   Lk 24,13-35

Gebet:     Herr Jesus Christus. Zeig Dich auch uns. Und wenn wir Dich auch nicht sehen, dann lass dich hören. Amen.

 

II

Zunächst eine Beobachtung, liebe Gemeinde: keine der Ostergeschichten in den vier Evangelien im Neuen Testament wird so ausführlich erzählt. Keine andere der Geschichten rund um die Auferstehung Jesu ist so lang. Doppelt so lang wie die Geschichte vom leeren Grab. Ob das was zu bedeuten hat? Vielleicht! Vielleicht, weil wir Späteren hier aus der Zuschauerrolle ein wenig herauskommen können. Vielleicht hat Lukas darum – als einziger – diese Episode so ausführlich erzählt. Denn da können wir Schritt halten und ein Stück Weg mitgehen. Denn nur einer dieser beiden Jünger hat hier einen Namen: Kleopas – keine Berühmtheit, von ihm ist nirgends sonst im Neuen Testament die Rede. Der andere ist namenlos. Ein Platzhalter für uns, damit wir uns selbst dort eintragen und den Weg mitgehen, nach Emmaus – und wieder zurück.

 

III

Mit diesen beiden würden wir auch gewiss nicht auffallen. Sie waren offenkundig keine großen Lichter. Zum auserwählten Kreis der zwölf Apostel gehörten sie jedenfalls nicht. Immerhin waren sie sportlich. Laufen konnten sie und haben am Abend die Strecke auch gleich noch einmal geschafft – so eine Art „Laufen mit Herz“. Aber besonders erfahren im Umgang mit Jesus oder irgendwie bibelkundig waren sie offenbar nicht. Keine Glaubenshelden, sondern eher so Leute wie wir. Zwei verschreckte und enttäuschte Jünger auf der Flucht. Zu solchen Leuten kommt Jesus. Am Tag seiner Auferstehung, dem ungewöhnlichsten Datum der Weltgeschichte. Mit solchen Leuten geht der auferstandene Christus an diesem Tag spazieren. Der Bezwinger des Todes und der Hölle, der Herr der Herrlichkeit, der König sucht die Gesellschaft von zwei Durchschnittsjüngern aus der dritten Reihe. Kein großer Auftritt in Jerusalem. Sondern eine Wanderung, zwei Stunden Weg, raus aus der Hauptstadt, zu irgendeinem Kaff in der Nähe – die Historiker rätseln bis heute wo das eigentlich war. Der Auferstandene wandert mit diesen beiden Jüngern – und sie bekommen es nicht mit.

 

Am Anfang war das auch gewollt: „ihre Augen wurden gehalten“ heißt es hier. Also wollte Jesus erst einmal im Verborgenen bleiben. Aber so im Lauf der Reise – denken wir als Zuschauer – hätten diese beiden doch was merken können oder merken müssen. Aber da geht kein Licht auf. Ein langer gemeinsamer Weg (zwei Stunden!) und ein langes intensives Gespräch – und sie kapieren es nicht. Und doch macht Jesus nicht beleidigt kehrt (wie wir, wenn man uns nicht gebührend würdigt), sondern er hält das aus. Er sucht sich keine anderen Leute, in die zu investieren sich mehr lohnt. Wie gesagt: die Beiden tauchen später nirgends wieder auf – trotz dieses sehr persönlichen und einzigartigen Begegnung. Aber Jesus rechnet anders als wir und widmet diesen Beiden seinen gesamten ersten Sonntagnachmittag nach seiner Auferstehung, mit großer Geduld und Aufmerksamkeit. Jesus lässt sich ein auf ihren Weg, obwohl er wegführt aus Jerusalem, wo doch demnächst di erste Gemeinde gegründet werden soll.

 

Ich finde das unglaublich und sehr tröstlich, dass sich der auferstandene König der Welt für diese beiden Randfiguren so sehr interessiert, für diese müden Zweifler und Flüchtlinge des Glaubens. Er haut sie nicht mit seiner Kraft und Wahrheit um. Er passt sich ihrem Tempo an und redet, wartet, hört zu und isst mit ihnen – bis endlich, endlich auch ihnen dämmert, wer da die ganze Zeit an ihrer Seite ging und sich zu ihnen setzt an ihren Tisch. – Und Du, wo bist Du grad auf der Flucht? Wovor läufst Du weg? Wohin würdest Du Dich gerne zurückziehen aus dem Druck und den Enttäuschungen Deines Lebens und manchmal Deines Glaubens?

 

IV

Vielleicht begegnet Jesus Dir auch so, dass er zunächst mal Fragen stellt und zuhört. Und dann erst, später, selber redet und die Landkarte auspackt, die Heilige Schrift, und seinen Weggefährten Schritt für Schritt erklärt, woher sie kommen und wohin es weitergehen wird. Was für eine starke Geste, dass der auferstandene Jesus mit seinen Jüngern erst mal in der Bibel liest. Das ist sein Ostergeschenk – so eine Art Ostereiersuchen in der Bibel. Er geht mit ihnen durchs Gelände und zeigt ihnen, wo sie suchen sollen und was sie finden können und welcher Schatz uns Menschen hier gegeben ist. Schaut hin – sagt Jesus – es steht schon alles da. Hier könnt ihr lesen, dass mein Leben wie mein Sterben nicht irgendwie passiert ist, sondern vorbereitet war und so geschehen sollte. Schaut rein, in dieses Buch der Bücher – mein Reiseführer-Tipp für unterwegs. Geht auch für Ungeübte und für müde Leute, mit denen Jesus offenbar besonders gern zusammen ist.

 

Und Proviant gibt’s auch. Denn Jesus schenkt den beiden Jüngern neu das Abendmahl. In der Nacht vor seinem Sterben hatte er es exklusiv mit seinen zwölf Apostel gefeiert. Doch nun empfangen diese hier als erste aus der Hand des Auferstandenen das Brot des Lebens. Und da geht ihnen endlich auf, wer hier mit ihnen unterwegs gewesen ist, wen sie – ist das wahr? – die ganze Zeit schon bei sich hatten; und wir haben’s nicht gemerkt. Jesus war die ganze Zeit dabei, und wir haben ihn nicht erkannt. Bevor wir ihn gebeten haben: bleib bei uns – war er schon da und ist geblieben. Und nun setzt er selbst, der Auferstandene das Abendmahl ganz neu in Kraft: „mein Leib, für euch – mein Leben für euch“. Und es wird klar, dass dieses Mahl kein Gedächtnismahl für einen Toten ist, sondern ein Fest, bei dem Christus gegenwärtig ist, verborgen und doch greifbar unter Brot und Wein. Gut, dass wir das nachher feiern.

 

 

 

 

VI

Denn danach gibt es für jene müden Wanderer kein Halten mehr. Sie brechen auf, sofort, noch in der Nacht und laufen diesen ganzen Weg zurück nach Jerusalem. Damit die dort Zurückgebliebenen es auch erfahren: dass Jesus lebt und dass die Frauen recht hatten, dass er tatsächlich auferstanden ist.

 

Sie kehren um und bleiben nicht in ihrem abgelegenen Winkel, wohin sie sich zurückgezogen hatten, ins Private. Sondern sie gehen wieder dahin, wo Geschichte geschrieben wird und wo er Leute braucht, die sich von ihm senden lassen in die Welt. Klar hätten sie sich auch in Emmaus über Jesu freuen können und über die Auferstehung, so im Stillen und zu zweit, für sich. Aber so geht diese Geschichte nicht aus! Denn wer dem Auferstandenen begegnet ist – wenn auch ganz unvermutet, irgendwo unterwegs, wo man mit ihm gar nicht gerechnet hat. Wer ihm begegnet ist über der Heiligen Schrift und im Abendmahl, der taucht nicht unter, sondern bricht als Zeuge Jesu Christi neu auf in diese Welt, die Gott so kostbar ist mit all den Menschen, die er liebt. Kein Abtauchen, sondern zurück in die Hauptstadt, wo es Gewalt gibt und Intrigen und Messerattacken und Giftgas in der Nähe, wo Macht missbraucht wird und auch die Religion missbraucht wird, wo die Erschöpften sind und die Hoffnungslosen und wo es gefährlich werden kann, von Christus zu reden. Dahin kehren die Jünger zurück. – Und wir? Wir auch, nach unserem Osterspaziergang heute Nachmittag und nach dem Abendmahl jetzt gleich. Auf in die Welt, in der die Demokratie gefährdet ist (nicht nur in der Türkei). Auf in die Welt, in der Menschen sich eingeschlossen haben in ihrem Land / in ihrem Haus, aus Furcht. Die Welt, in der Menschen bedroht sind und fliehen auf der Suche nach einem neuen Leben. Die Welt, in der Bomben geworfen werden und Kinder verhungern, in der es Krach in den Familien gibt und wo der Tod Beziehungen zerstört und Trauernde beschwert. Dahin kehren Kleopas und der unbekannte Jünger zurück – und wir auch. Mit der kraftvollsten und schönsten und unglaublichsten Botschaft der Welt: Der Tod, das Elend und die Bosheit – und wenn es tausendmal danach aussieht – sie siegen nicht! Weil Christus auferstanden ist. Die Gnade siegt, Versöhnung und Gerechtigkeit und die unbezwingbare Liebe Gottes – weil Jesus wahrhaftig auferstanden ist. Und der Friede Gottes …